UPDATE: Am 10. August 2018 erschien die Ausgabe 111 der Fachzeitschrift Computer + Unterricht zum Thema Storytelling. Darin war auch ein Artikel von mir. Hier wird nun der Artikel in einer früheren und längeren Form veröffentlicht.
tldr: Jede Schule sollte ihren eigenen Medienberater haben! Er würde die Medienbildung aller Beteiligten fördern, bei der Schulentwicklung helfen und er sollte bezahlt werden.
In einem Bericht der Kieler Zeitung, in dem einige der Schwierigkeiten dargestellt werden, mit denen Schulen zu kämpfen haben, die versuchen, der Digitalisierung gerecht zu werden, heißt es bedauernd im Schlusssatz: „Nicht jede Schule hat einen Herrn Klein“. Damit ist Malte Klein gemeint, der Lehrer, Medienberater am Institut für Qualitätsentwicklung (IQSH) und zudem Lehrbeauftragter an der Uni Kiel ist.
Ich behaupte, dass genau hier eines der größten Probleme liegt. Meines Erachtens ist es eine erhebliche Fehlentwicklung, dass nicht jede Schule einen eigenen Medienberater hat.
Medienberater?
Da der Begriff Medienberater im deutschsprachigen Raum nicht einheitlich genutzt wird, sollte ich zunächst einmal klären, was ich mir darunter vorstelle. Ich versuche mich einmal an einer Art Stellenbeschreibung:
Medienberater könnten…
- die Schulleitung in Fragen der (digitalen) Schulentwicklung beraten
- am Medienkonzept maßgeblich mitarbeiten, es evaluieren und Anpassungen vorschlagen,
- vielfältige Fortbildungen für Lehrende zu digitalen Themen anbieten: Vom Peer-to-peer-Training bis zur
- Organisation einer jährlichen SchiLf,
- mit dem Kollegium kommunizieren – auch das gehört zur Beratung – sowohl bei Flurgesprächen als auch
- über etablierte digitale Kanäle. Hier kann auf Fragen eingegangen werden und Vorschläge können gemacht werden.
Gerade der letzte Punkt ist meiner Erfahrung nach entscheidend. Die kurzen Wege zum persönlichen Gespräch, in dem Hindernisse aus dem Weg geräumt werden können, helfen dem Kollegium mehr, als jede einmalige Fortbildung, bei der man am nächsten Schultag doch wieder mit seinen (technischen) Problemen alleine da steht. Das kann kein Landes-Medienberater leisten, der für 100 Schulen zuständig ist.
Darüber hinaus wären noch weitere Einsatzgebiete denkbar, je nach Qualifikation des Beraters und nach Bedarf an der Schule:
Ausbringung von ITG-Kursen (Informationstechnische Grundbildung) bzw. -workshops sowie von Profilkursen im Wahlpflichtbereich in der Sek I und von Arbeitsgemeinschaften zu Themen wie Coden, Robotik, Mediendesign, Homepagepflege etc.
Außerdem wäre entweder die Mitarbeit bei der Netzwerkadministration oder die Arbeit als Datenschutzbeauftragter denkbar, beides zusammen wäre nicht möglich.
Hierbei sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Aufgaben eines Administrators je nach Schulgröße und System einen großen Teil der Arbeitszeit verschlingen könnten.
Wichtig wäre bei dieser Vielfalt an Möglichkeiten, eine vernünftige Auswahl an Aufgaben, so dass für den Berater auch Zeit für seine eigentliche Kernaufgabe bleibt: Für das Beraten.
Nur eine Fiktion?
Es gibt Schulen, da ist ein solcher Berater bereits Realität.
In einem Podcast aus der Reihe Jöran ruft an spricht Jöran Muuß-Merholz mit Sandra Ricker über ihre Arbeit als Educational Technology Coach in Singapur. Hier sind in den Shownotes auch die Stellenausschreibung und vor allem das Anforderungsprofil eines ETC verlinkt. Lesenswert!
An diesem Beispiel wird die sehr unterschiedliche Wertschätzung des Arbeitsbereichs eines Medienberaters deutlich. Während der Educational Technology Coach in Singapur eine volle Stelle hat, bekommt ein Medienkoordinator (so nennt sich der Posten eines Medienberaters in einigen Bundesländern) für seine Arbeit z.T. nicht mal eine Entlastungsstunde.
Wer kann denn sowas?
Bei Diskussionen zu dem Thema kommt immer irgendwann die Frage auf, wo denn die ganzen technisch-didaktisch und juristisch gut ausgebildeten Lehrer herkommen sollten. Dabei muss ein schulischer Medienberater gar nicht unbedingt Lehrer sein. Schließlich gibt es an vielen Schulen auch Schulsozialarbeiter, die keine Lehrer sind. Diese Arbeit könnten auch Medienpädagogen mit Erfahrungen im Bildungssektor oder Diplompädagogen mit digitalem Arbeitsschwerpunkt übernehmen. Und bestimmt habe ich hier noch wichtige Berufsfelder vergessen. Man möge sie bitte über die Kommentarfunktion ins Spiel bringen.
Die Frage wäre für mich nicht, welche Berufsbezeichnung diese Menschen haben, sondern ob sie geeignet sind, eine Schule voran zu bringen.
Bufdi und Schüler ersetzen den Medienberater?
An einigen Schulen wurde ein Konzept erprobt, bei dem Personen aus dem Bundesfreiwilligendienst in Schulen beschäftigt wurden, z.B. hier. An vielen anderen Schulen werden entsprechend ausgebildete Schüler, beispielsweise die Digitalen Helden im Bereich der Medienbildung der Schülerschaft eingesetzt. Hier können erfahrene BFD-Kräfte und Schüler-Coaches viel erreichen.
Aber können diese beiden Gruppen die Aufgaben eines Medienberaters übernehmen? Die Idee: ein technisch versierter Bufdi oder Teilnehmer einer Schüler-Medien-Hilfsgruppe könnte wenig technikerfahrenen Kollegen zur Hand gehen und den Beamer anschließen, den Computer hochfahren, beim Einwählen in das Schulnetz unterstützen und einiges mehr. Auf der einen Seite sehe ich hier für solche Kollegen einen echten Gewinn, da die Forderung nach kurzen Wegen zur technischen Hilfestellung erfüllt ist. Und auch für die Freiwilligen stelle ich mir die Aufgabe durchaus reizvoll und erfahrungsreich vor. Allerdings kann man weder von einer BFD-Kraft noch von einem Schüler erwarten, dass er pädagogisches/didaktisches Vorwissen mitbringt, sich über das übliche Maß mit Urheberrecht auskennt und die Bestimmungen für das Datenschutzrecht in Schulen kennt. Und somit kann von ihm auch nicht erwartet werden, dass er Schulleitung, Mitarbeiter und Kollegium in entsprechenden Bereichen berät und schult. Solche Lösungen können also keinesfalls ein Ersatz für den oben geforderten Medienberater sein, wohl aber eine hervorragende Ergänzung.
Wer soll das bezahlen?
Auf dem Digital Education Day 2016 in Köln lobte Silvia Löhrmann, damals Ministerin für Schule und Weiterbildung in NRW, die Ausweitung der Medienberater-Stellen auf Landesebene. Der Einrichtung eines schulischen Medienberaters erteilte Sie jedoch eine Absage (hier ab Min. 41). Schade. Dabei wären die Länder die richtigen Ansprechpartner. Sie haben die Bildungshoheit und somit auch die Verpflichtung, die Schulentwicklung (auch im Bereich der Digitalisierung) zeitgemäß zu gestalten. Der Bund hat hier hingegen durch das Kooperationsverbot nur eingeschränkte Möglichkeiten. Wobei ich nicht behaupten möchte, mich in den Feinheiten dieser Regelung auszukennen. Als Laie kann ich sicherlich von einer Refinanzierung der schulischen Medienberater-Stellen durch Bundesmittel träumen, deren Ausgestaltung nach den Richtlinien der Länder erfolgt und die auf Grundlage des konkreten Bedarfs an der jeweiligen Schule ausgerichtet werden. Man wird ja noch träumen dürfen. Vielleicht hilft ja der Art. 91b GG weiter.
Schließlich wären natürlich noch die Eltern und die Wirtschaft als Geldgeber möglich. Beides sind nicht wirklich meine Favoriten. Die Elternfinanzierung könnte nur an Schulen mit entsprechend zahlungskräftiger Elternschaft realisiert werden, was unsere soziale Schieflage in der deutschen Bildungslandschaft (hier aktuell am Beispiel Berlin) noch verstärken würde. Und die Wirtschaft, die sich bereits kräftig mit MINT- und sonstigen Initiativen ins Spiel bringt, hat bisher vor allem einen Schwerpunkt an Gymnasien gesetzt. Medienberatung sollte aber dringend an allen Schulen möglich sein.
Fazit:
Jede Schule sollte ihren eigenen Medienberater haben! Ohne diesen Posten bleiben Forderungen und Versprechen über Milliardenbeträge für technische Ausstattung an Schulen wirkungslos, da die Technik nicht (adäquat) genutzt wird. Ich fordere Bund und Länder auf, sich dieses Themas anzunehmen und die bisherigen Beratungsstrukturen entsprechend zu ergänzen.
Und nur so am Rande: Um ein funktionierendes Konzept zu haben, müssen darüber hinaus noch weitere Bedingungen erfüllt sein. Vor allem die Wartung und Administration der Geräte muss in professionelle Hände gelegt werden. Hierfür wird eine langfristige Finanzierung benötigt, keine einmaligen Milliardenaufwendungen. Aber das gehört in einen anderen Blogbeitrag…
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Seit vielen Jahren gibt es für jede Schule in Baden-Württemberg einen eigenen Netzwerkberater und Multimediaberater für alle Schularten. Ab 2016 werden auch Ausbildungsreihen für MM-Berater an Grundschulen angeboten, da Medienbildung an Grundschulen verpflichtend unterrichtet wird.
https://lehrerfortbildung-bw.de/st_digital/medienwerkstatt/fortbildungen/mo/
Danke für den Hinweis!
Da finden sich ja tatsächlich konkrete Angaben zur Vergütung und ein abgestecktes Aufgabenprofil https://lehrerfortbildung-bw.de/st_digital/medienwerkstatt/fortbildungen/mo/m5/02mmbaufg/
Würde mich interessieren, ob es in anderen Bundesländern bereits ähnliche Posten gibt.
Eine interessante Ergänzung kam per Twitter von @jaegdan. Offenbar hat man sich in der Schweiz dem Thema angenommen. Dort heißen die schulischen Medienberater PICTS (Pädagogischer ICT-Support). Danke für den Hinweis. Es würde mich interessieren, wie die Arbeitsbedingungen für einen solchen PICT-Supporter sind.
Infos unter: http://picts.educanet2.ch/info/.ws_gen/
Pingback: Digitalisierung von unten? Ein zu lang geratener Kommentar auf ein Experiment von Jan-Martin Klinge – medienberater bloggt