Technische Hilfsmittel zur Überwindung der Sprachbarriere


Am 2. Mai 2022 fand unter der Adresse https://ukraine-hilfe-bildung.de/ ein Online-Barcamp statt, in dem es um ukrainische Geflüchtete im Bildungsbereich ging. Aufgrund des russischen Einmarsches sind zahlreiche UkrainerInnen zur Flucht gezwungen. Ein Teil von Ihnen kommt nach Deutschland und wird auch in den Kindergärten, Schulen und Hochschulen willkommen geheißen. Ziel dieser Veranstaltung war es, einen Austausch zu initiieren, wie den komplexen Problemen begegnet werden könnte, die damit verbunden waren.

Die zahlreichen Sessions befassten sich unter anderem mit Fragen der Unterstützung und Beratung, mit der Willkommenskultur an Schulen, mit Konflikten zwischen russischstämmigen und ukrainischen Jugendlichen, mit Sprachangeboten oder ganz allgemein mit der Frage, was wir in diesem Zusammenhang wissen, brauchen und können.

Auch ich wollte etwas beitragen und da ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Medienberater meiner Schule ohnehin bereits zu technischen Möglichkeiten der Überwindung der Sprachbarriere recherchiert hatte und die Vor- und Nachteile einiger Apps und Dienste erprobt hatte, lag es nahe eine entsprechende Session anzubieten.

In der Session sollte es darum gehen,

  • Material aufzubereiten,
  • Material „live“ zu übersetzen,
  • Gespräche zu führen,
  • Probleme und Grenzen aufzuzeigen und
  • offene Fragen zu diskutieren.

Hierbei ging ich vom „schlimmsten“ Fall aus: ein ausschließlich ukrainisch bzw. evtl. auch russisch sprechender Mensch befindet sich neu in einer Lerngruppe, während niemand sonst diese Sprachen spricht. Inwiefern kann Technik helfen, die Sprachbarriere zu überwinden?

Material aufbereiten

Eine Lösung besteht darin, das Material, das die Lerngruppe in deutscher Sprache verwendet, im Vorfeld automatisiert zu übersetzen. Das geht besonders gut, wenn die Medien in veränderbarer Form vorliegen. Als Beispiel hatte ich die offene Lernplattform segu gewählt.

CC BY SA 4.0 segu Geschichte (Ausschnitt). Bild: La Tutela Tricolore (2016 exhibition) von Sailko; CC BY 3.0 Unported (Ausschnitt)

Als Übersetzungsdienste hatte ich https://deepl.com, den Google Übersetzer sowie die in Microsoft Word eingebaute Übersetzungssoftware genutzt (in dem folgenden Screenshot von links nach rechts zu sehen).

Screenshot von Word-Dokument. Darin enthalten: CC BY-SA 4.0 segu Geschichte (Ausschnitt; übersetzt). Bild: La Tutela Tricolore (2016 exhibition) von Sailko; CC BY 3.0 Unported

Deepl ist bekannt für seine ausgezeichneten Übersetzungen – der Dienst bietet aber leider kein Ukrainisch an. Aber immerhin kann man Russisch auswählen. Bei Google und Microsoft kann man sowohl Ukrainisch als auch Russisch auswählen. Die Qualität der Übersetzung kann ich aber leider nicht einschätzen. Meiner Erfahrung nach ist da durchaus noch Luft nach oben. Google zeigt in diesem Video auf, wie seine Übersetzungssoftware trainiert wird. Da es vermutlich nicht so viele ukrainische Trainingsdokumente gibt, wie englische oder russische, könnte die Übersetzungsleistung hier schlechter sein.  

Die Übersetzung und Bereitstellung der gleichen Materialien wie der Rest der Lerngruppe kommt aber an seine Grenzen, wenn man keine reinen Texte verwendet, sondern z. B. interaktive Elemente oder Filme.

Material „live“ übersetzen

Eine Alternative zur Bereitstellung übersetzen Materials ist die Nutzung der Kamerafunktion eines Tablets oder Smartphones zur „Live-Übersetzung“. Hier bietet sich erneut Google an. In der Google Übersetzer-App ist die Software Google Lens integriert, die über das Kamerasymbol gestartet werden kann (siehe Screenshot unten). Vorher muss die Sprache eingestellt werden, in die das Original übersetzt werden soll. Praktisch hierbei: Die Datei für jede genutzte Sprache kann heruntergeladen werden, so dass die Übersetzung im Anschluss auch ohne Internetverbindung funktioniert.

Screenshot von Google Übersetzer (mit Pfeilen ergänzt) – nicht frei lizenziert

Die folgenden Screenshots zeigen, wie Google Lens arbeitet. Das abgefilmte Bild wird mit der Übersetzung überlagert. So lassen sich auch interaktive Quiz, Schaubilder und gedruckte Schulbuchtexte nutzen. Sehr hilfreich ist die Funktion, von der Übersetzung ein Standbild zu machen, so muss man nicht krampfhaft das Gerät dauerhaft über dem Material halten.

Screenshots von Google Übersetzer/ Google Lens – nicht frei lizenziert. Grundlage des rechten Screenshots: Experiment Schmelztemperatur bestimmen von B. Lachner. CC0.

Gespräche führen

Die Übersetzung von Unterrichtsmaterial kann sicherlich bei der Wissensvermittlung hilfreich sein. Um jedoch mit dem/der Geflüchteten ins Gespräch zu kommen, braucht es weitere Werkzeuge. Auch hier kann das Programm Google Übersetzer hilfreich sein.

Screenshots von Google Übersetzter – nicht frei lizenziert.

In dem Modus „Unterhaltung“ dolmetscht die Software ein Gespräch, während man es führt. Der Dialog wird zum einen schriftlich in Deutsch und Ukrainisch dargestellt als auch vorgelesen. Diese babelfischartige Leistung hat aber auch seine Grenzen. In lauten Umgebungen (wie zum Beispiel einem belebten Klassenraum) kommt das Programm an seine Grenzen. Zudem stellte sich mir die Frage, inwiefern diese „zwischengeschaltete“ Technik hilfreich bzw. angemessen ist, bei wirklich behutsam zu führenden, persönlichen Gesprächen, mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Über die Qualität der Übersetzung kann ich zudem auch bei dieser Variante nichts sagen.

Auch Apple bietet mit der App Übersetzen eine ähnliche Software kostenlos an. Hier gibt es jedoch kein Ukrainisch. Als alternative böte sich her Russisch an.

Probleme und Grenzen

Technik ist sicherlich sehr hilfreich bei der Arbeit mit Geflüchteten, aber natürlich hat das auch seine Grenzen.

So kann beispielsweise gar nicht vorausgesetzt werden, ob die Menschen auf ihrer Flucht, eigene Technik mitnehmen konnten. Und nicht jede Bildungseinrichtung besitzt Leihgeräte, die in einem solchen Fall zur Verfügung gestellt werden können.

Ferner ist in einigen der oben beschriebenen Anwendungsfälle eine aktive Internetverbindung notwendig. Ob dies mit den Mobilfunkverträgen der Geflüchteten umsetzbar ist, müsste geklärt werden. Und auch, ob sie sich mit ihren privaten Geräten in das WLAN der Bildungseinrichtung einwählen können (sofern dies überhaupt vorhanden ist).

Ein weiterer Punkt, der zu beachten ist, ist der Datenschutz. Schließlich werden die meisten der hier beschriebenen Einsatzszenarien mit der Software von Google oder Microsoft umgesetzt. Und wer ein vertrauliches Gespräch mit Geflüchteten führt, möchte den Inhalt des Gesprächs vermutlich ungern auf die Server der Betreiber übertragen. Zwar lässt sich bei einer schriftlichen Übersetzung der Offline-Modus nutzen, sofern die jeweilige Sprachdateien heruntergeladen wurden, die Dolmetscher-Funktion funktioniert jedoch nur mit aktiver Internetverbindung. Wenn also jemand gute Erfahrungen mit den durchaus vorhandenen freien und offenen Alternativen gemacht hat, wäre ich dankbar für einen entsprechenden Kommentar zu diesem Blogbericht.   

Zuweilen wird auch von einer problematischen Nutzung von Geräten durch Geflüchtete berichtet. Da werden Fotos der Lerngruppe und des Lehrenden ohne Einverständnis bei Social Media gepostet und andere nutzen die Geräte auch während der Unterrichtsphasen, um sich konstant über die Lange in ihrem Heimatland zu informieren. Ein verständliches Verhalten, aber nicht hilfreich beim Lernen und vermutlich ist so eine dauerhafte Auseinandersetzung mit dem Schrecken auch nicht gut für den seelischen Zustand gerade bei Kindern und Jugendlichen. Normalerweise begegnet man solcher problematischen Nutzung durch Lernende mit einem ernsten Gespräch. Man verweist auf die Regeln des Zusammenlebens, die an einer Bildungseinrichtung bestehen und setzt im Wiederholungsfall auch weitere Maßnahmen um. Bei Geflüchteten ist dies zumindest schwieriger. Zum einen wegen der Sprachbarriere, zum anderen, da sie die Geräte ja durchaus benötigen, um die Übersetzung zu gewährleisten. Ein zeitweiliger Entzug der Geräte würde einem Ausschluss vom Unterricht gleichkommen, da keine Verständigung mehr möglich ist.

Man sieht, beim Einsatz von hilfreicher Technik zur Überwindung der Sprachbarriere stößt man auch auf Probleme, die es zu lösen gilt. In vielen Fällen ist zum Glück gar nicht vom anfangs angeführten „schlimmsten“ Fall auszugehen, in dem gar keine Kommunikation möglich ist. Vielfach gibt es beispielsweise russischsprechende Schülerinnen und Schüler in der Klasse, die übersetzen können. Oder die Flüchtenden können englisch sprechen, so dass man sich darüber verständigen kann.

Offene Fragen

Bei der Auseinandersetzung mit der Thematik sind einige Fragen offen geblieben, die nur zum Teil

  • Ist das beständige Übersetzen ins Ukrainische wirklich hilfreich beim Spracherwerb?
  • Wie ist die Qualität der Übersetzungen einzuschätzen? Ist mit den Hilfsmitteln eine sinnvolle Kommunikation überhaupt möglich?
  • Inwiefern ist Russisch wirklich eine Alternative bei der Kommunikation mit ukrainischen Flüchtlingen?
  • Gibt es sinnvolle Übersetzungs-Software beim Einsatz von Filmen im Bildungskontext?
  • Ist bei einer GoogleTranslate-Unterhaltung überhaupt eine persönliche Beziehung mit dem Geflüchteten aufbaubar?
  • Wie sind die Erfahrungen mit datenschutzfreundlichen Alternativen?
  • Wie geht man an den Bildungseinrichtungen mit einer problematischen Nutzung durch die geflüchteten Lernenden um?

Nicht behandelt (aber hilfreich)

In meiner Session ging es nicht um die Empfehlung sprachlich bereits aufbereiteten Materials. Dennoch blieb ein wenig Platz, um entsprechende Tipps anderer Menschen weiterzuleiten:


CC BY 4.0
Weiternutzung als OER ausdrücklich erlaubt: Dieses Werk und dessen Inhalte sind – sofern nicht anders angegeben – lizenziert unter CC BY 4.0. Nennung gemäß TULLU-Regel bitte wie folgt: Technische Hilfsmittel zur Überwindung der Sprachbarriere von André Hermes, Lizenz: CC BY 4.0.

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