Die Bildungsverlage in Deutschland haben sich lange gewehrt, gegen den Trend zur Digitalisierung von Lehrmaterialien. Zu groß war wohl die Angst vor der Pleite massiven Umsatzeinbußen durch unkontrollierte Verbreitung. Diese Angst führte gar zur Forderung der Verlage zur Einrichtung des fälschlich aber irgendwie doch treffend bezeichneten „Schultrojaners“ und verhinderte lange Zeit die professionelle Erstellung eines „digitalen Schulbuchs“. Zwar gab es immer wieder CD-basierte Lernbausteine, ein richtiges Pendant zum Schulbuch – oder gar einen Ersatz – fand man jedoch nicht.
Zudem machten es die versierten Lehrer (versiert in Bezug auf den Umgang mit digitalen Medien) den Schulbuchverlagen auch nicht leicht. Variabel einsetzbar sollte Unterrichtsmaterial sein. Übertragbar, bearbeitbar, multimedial usw. Eine einfache pdf-Kopie hätte den Ansprüchen nicht genügt.
Letztlich wurde auch der Trend zur Bindung an Apple ein einziges Unternehmen sowohl von Verlegerseite als auch von (vielen) Lehrern skeptisch gesehen. Das digitale Schulbuch sollte also auch „unabhängig“ sein.
Viele Bedenken und Forderungen führten zu einer langen Durststrecke.
Nun startete jedoch unter www.digitale-schulbuecher.de das lange angekündigte Portal der Schulbuchverlage.
Ich habe mir direkt mal ein bei uns eingeführtes Lehrwerk angeschaut. Nämlich das Fundamente Geographie Oberstufe von Klett. Und weil es in der Testphase kostenlos erhältlich ist, habe ich die Lizenzen für meinen Oberstufenkurs gleich mit besorgt.
So können die dicken Wälzer im Fachraum gelagert und die Hausaufgaben am heimischen PC mit der ebook-Variante erledigt werden.
Man kann diese Lehrwerke browserbasiert online nutzen und/oder sich eine Software installieren, um die „Bücher“ zu lesen.
In den FAQ steht, die Verlage könnten hier vielfältige Medien einbinden. Bisher habe ich aber nur eine 1:1-Kopie der offline-Bücher wahrgenommen, in der die Links verknüpft und somit anklickbar sind. Mir persönlich reicht das. Ich muss das Video, das ich anklicken kann, nicht auch im Buch „embeddet“ haben. Allerdings ist so natürlich eine ständige Internetverbindung Voraussetzung.
Positiv finde ich die Suchfunktion, das Inhaltsverzeichnis, das Verzeichnis für das (verlinkte) Zusatzmaterial, die Lesezeichenfunktion sowie die Möglichkeit der Kommentierung von Lehrmaterialien. All das kennt man schon von pdf-Dateien. Darüber hinaus findet man auch eine Werkzeugleiste, die man von interaktiven Tafeln gewohnt ist. Man kann also auch in das Buch reinmalen, Dinge unterstreichen und (anders als beim analogen Buch) auch wieder löschen. Dies erscheint mir besonders für Tablets eine hervorragende Lösung zu sein. Die Ergänzungen, die man macht, können auch bei der Software-Variante online abgeglichen werden.
Dummerweise ist grade die Nutzung des Angebots für Tablets nur bedingt möglich. Eine Programmversion für diese Geräte ist noch nicht vorhanden aber angekündigt. Browserbasiert fallen zumindest Apple-Produkte komplett aus, da die Schulbuchverlage sich für Flash entschieden haben, was diese Geräte nicht darstellen können.
Hier liegt auch ein wesentlicher Kritikpunkt vieler twitternder Lehrer und Medienpädagogen.
Wenn ein digitales ein analoges Schulbuch ersetzten soll, muss es mindestens genau so gut sein. Das bedeutet auch, dass es genau so gut lesbar sein muss, wie das gedruckte Exemplar. Das ist häufig aber nicht immer der Fall. So ist z. B. die Abbildung M3 auf S. 73 aufgrund ihrer geringen Auflösung nicht einsetzbar.
Insgesamt erscheint mir das bisher gesehene nicht besonders interaktiv. Vielleicht ist das bei anderen Lehrbüchern anders. Wurden beispielsweise die „Lern-CDs“, die man bei einigen Schulbüchern findet, mit Vokabeltrainern, multimedialen Animationen, interaktiven Lernbausteinen etc. auch gleich mit eingearbeitet? Beim Fundamente gibt es so etwas meines Wissens nicht.
Ich bin einer der Lehrer, der gerne mit digitalen Medien arbeitet.
Und dennoch… ich weiß ein gutes Schulbuch für meinen Unterricht zu schätzen.
Ob es aber nun ein (solches) digitales sein muss, weiß ich nicht.
Wenn man eine Laptopklasse mit großen, berührungsempfindlichen, auch mit Stylus nutzbaren Bildschirmen hat, mag dieses pdf-artige Produkt mit integrierter „Whiteboardfunktion“ perfekt sein.
Auf einem Smartphone – und damit arbeitet ein großer Teil meiner Schüler – ist diese Buchvariante kaum zu gebrauchen.
Ich hätte mir lieber eine Smartphone-optimierte Version gewünscht. Die sähe zwar dann vom Layout nicht mehr so aus, wie das gedruckte Buch, könnte aber auch von Byod-Klassen genutzt werden. Ferner kann man in die Schulbücher kein eigenes Material hinzufügen, so dass sie mein LMS (Moodle) nicht ersetzen können.
Ich bin nicht der Meinung, dass das Angebot ein Fiasko ist. Es wird sicherlich seine Nutzer finden. Ich vermute aber, dass es für meine Zwecke nicht geeignet ist.
Vielleicht schreibe ich in einigen Wochen mal einen zweiten Teil, in dem ich über meine Erfahrungen berichte … oder vielleicht doch nur ein Update unten drunter.
Während ich dies hier schreibe veröffentlicht Damian Duchamps in seinem Blog ebenfalls einen lesenswerten ersten Erfahrungsbericht, in dem er unter anderem digitale Lehrwerke eines weiteren Schulbuchverlag (Cornelsen) unter die Lupe nimmt.
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