Geräte raus, der Unterricht fängt an..! – Erfahrungsbericht über sechs Monate BYOD


Meine Schüler dürfen ihre eigenen Geräte in den Unterricht mitbringen und mit meiner Erlaubnis nutzen. Nachdem seit Beginn des Schuljahres mein Fachraum mit einem WLAN-Router versehen wurde und die Schüler in der Lage sind, sich passwortgeschützt in das Schulnetzwerk einzuloggen, konnte es endlich losgehen mit BYOD.
Fein 🙂
Hier möchte ich nun über die von mir erlebte Entwicklung in den letzten sechs Monaten berichten.

1. Phase des ungläubigen Herantastens

“Wer von euch hat denn ein Smarphone dabei? Ich würde gerne ausprobieren, ob ihr euch damit ins Schülernetz einwählen könnt. Dann könnte ich das im Unterricht einplanen.” So, oder so ähnlich, hat es begonnen.
Wobei die Schüler, die es gewohnt waren ihr Handy lediglich heimlich auf der Toilette oder in abgelegenen Fluren zu nutzen, da es ihnen sonst weggenommen würde, zunächst zögerlich auf die Aufforderung reagierten, ihr Spiel-, Kommunikations- und Informationsgeräts im Unterricht einzusetzen.
Sie hatten noch keine Erfahrung mit dieser Situation, wussten noch nicht so recht, was sie durften und was nicht. Viele machten einen staunend, ungläubigen Gesichtsausdruck. In dieser Phase galt es Regeln zu vereinbaren (viel war gar nicht nötig) und noch nicht die dicke, kollaborative Keule zu schwingen. Es wurden deshalb in den ersten Stunden lediglich vorgegebene Informationen aus dem Internet abgerufen. Mal ein Text, mal ein kurzes Youtube-Video. Da längst nicht jeder ein Smartphone (dabei) hatte, wurde darauf geachtet, genügend Offline-Material zur Verfügung zu stellen. So konnten weniger technikaffine Schüler, zunächst ohne das Internet oder in Partnerarbeit mit den Handybesitzern, die gleichen Lernerfolge erzielen.

2. Phase der forschen Aufrüstung

Diese Phase begann bei einigen Schülern bereits in der zweiten Stunde. Sobald klar war, dass man technisches Gerät nutzen durfte, wurde es auch herangeschafft. Bald waren immerhin bis zu vier Laptops parallel zu den bestehenden Schülerhandys im Einsatz.
Bei anderen stellte sich der Prozess deutlich später ein. In jedem Fall bleibt festzuhalten, dass ich nun, nach einem halben Jahr, eine Vollversorgung meines Kurses vorweisen kann. Jeder hat mindestens ein WLAN-fähiges Smartphone. Tablets sind übrigens interessanterweise nicht dabei!

3. Phase der Abschwächung

Diese Phase betraf nur die Schüler, die einen Laptop mitbrachten. Die schweren Geräte wurden nach anfänglicher Euphorie nun nicht immer und von jedem mitgenommen. Das hatte mehrere Gründe:
  1. Während die Einbindung von Smartphones ins Schülernetzwerkt ohne Probleme funktionierte, gab es bei den Laptops z. T. erhebliche Schwierigkeiten, da für die Einwahl in das Schulnetz ein Sicherheitszertifikat an äußerst versteckter Stelle eingefügt werden musste. Das nötige Prozedere für diese Einbindung war bei allen Betriebssystemen und Betriebssystemversionen unterschiedlich. Das erschwerte die Einbindung der Geräte erheblich. Fazit: Technik, die nicht funktioniert, nimmt man nicht mit.
  2. Manchmal wurden die Laptops mitgebracht, ohne dass damit (intensiv) gearbeitet wurde, bzw. das Smartphone hätte es auch getan. Fazit: Technik, die man nicht unbedingt braucht, nimmt man nicht mit.
  3. Häufig standen Informatikräume zur Verfügung, so dass der Unterricht stattfinden konnte, auch wenn die Schüler nicht ihre Laptops eingepackt hatten. Fazit: Technik, die man nicht unbedingt braucht … ach, das hatten wir schon.
  4. Die Dinger sind wirklich verflixt schwer.

4. Phase der Professionalisierung

Die Nutzung der Schülergeräte zur Informationsaufnahme wurde im Unterricht recht zügig ergänzt durch die Nutzung zur Erstellung eigener Inhalte. Mindmaps, Wikis, Slide- und Podcasts wurden erstellt, verschiedene Internetdienste genutzt. Die Lust zur Mediennutzung und -produktion war auf Schülerseite klar gegeben. Die Kompetenz wuchs zusehends. Und mit ihr auch die Ansprüche der Schüler. Und zwar erheblich. Sie sprengte schnell die Möglichkeiten, die die Smartphones boten. Wenn der Arbeitsauftrag die Erstellung eines kurzen Hörbeitrags vorsah, der mit der Aufnahmefunktion eines Handys hätte erledigt werden können, wurden von den Schülern teuer aussehende Studiomikrofone und Laptops mit Schnittsoftware aufgefahren.

Fazit:

  • Medieneinsatz und -produktion ist bei den Schülern beliebt und bringt Motivation und Abwechslung in den Unterricht. Das wird von ihnen auch GANZ DEUTLICH kommuniziert.
  • Schüler möchten möglichst professionelle Arbeitsergebnisse abliefern und streben nach hoher Funktionalität ihrer Geräte.
  • Aber: beim Lesen/Video schauen reicht den meisten ihr Handy. Steht parallel dazu ein schuleigener, hochgefahrener Laptop bereit, wird von der Mehrheit das eigene Gerät bevorzugt.
  • Auch wenn nur wenige Laptops im Kurs zur Verfügung stehen, kann Medienproduktion stattfinden. Dann meist in Gruppenarbeit, da z. B. die Erstellung eines komplexen Wirkungsgefüges auf einem Handy nur sehr bedingt möglich ist. Das klappt, macht aber nur bis zu einer gewissen Gruppengröße Sinn, da sonst nicht alle mitarbeiten (können).

Ausblick:

Da stehe ich nun, bin begeistert vom Elan meiner Schüler und von den Möglichkeiten, die mobile Endgeräte dem Unterricht bieten. Und doch bin ich erschrocken, wie schnell wir an die Grenzen gestoßen sind. Smartphones sind nett, man kann schöne kleine Sachen damit machen. Aber einem medial geschulten Kurs reicht das nicht. Die Funktionalität eines PC hat diese Gerätegattung halt nicht.
Gerne würde ich jetzt mit einem schuleigenen Klassensatz an 10-Zoll-Tablets weiterarbeiten. Vielleicht sind diese die Lösung für das Dilemma, dass auf der einen Seite Laptops eigentlich zu schwer sind, um sie für den Einsatz in lediglich einem Fach mitzuschleppen und dass auf der anderen Seite Smartphones nicht leistungsfähig und groß genug sind für anspruchsvolle Arbeit. Nur haben wir leider (noch?) keinen solchen Klassensatz 😉
Die andere Möglichkeit wäre, die zwar geringen aber durchaus lohnenswerten Möglichkeiten der Smartphones gezielter einzusetzten und dafür auf die Qualität der Arbeiten zu verzichten. Bei einem ersten Versuch mit einem von Schülern erstellten “in-plain-english”-Videos hat das sehr gut geklappt. Auch ohne zusätzlich angeschlossene Profi-Mikrofone, Videoschnittsoftware oder mehrspuriger Audiobearbeitungsprogramme konnten feine Ergebnisse erarbeitet werden.

Creative Commons Lizenzvertrag
Die Texte und Abbildungen von André Hermes sind lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.


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2 Gedanken zu “Geräte raus, der Unterricht fängt an..! – Erfahrungsbericht über sechs Monate BYOD

  • Christiane

    Schön, der Beitrag macht Mut! – Hast Du auch feststellen können, ob sich das „heimliche“ Medienverhalten (sprich: Handy-unterm-Tisch-Chat) dadurch verändert hat?

    • medienberater Autor des Beitrags

      Hallo Christiane.
      Eine Schülerin des Franz-Stock-Gymnasiums in Arnsberg sagte in einem ZDF-Beitrag, rückblickend auf ihren frühreren, technikfreien Unterricht:
      „In der Ohne-Handy-Zeit war es so, dass man oft halt eben auch ans Handy gegangen ist, […] man hat halt immer diesen Drang, um zu gucken ob jetzt was passiert ist“.
      Ich denke schon, dass sich für Schüler, die ihr Gerät als alltägliches Arbeitsgerät im Unterricht nutzen, etwas ändert.
      Der „Glanz des Neuen und Unbekannten“ und die Vielfalt der Möglichkeiten verführen zum Erproben. Wird dies ersetzt durch eine abgeklärtere Einstellung, ändert sich meiner Einschätzung nach auch das Nutzungsverhalten.
      Aber natürlich werden Schüler in einem langweiligen Unterricht immer nach Ablenkung suchen. Ganz gleich, wie ihre Handy-Arbeits-Erfahrungen sind.
      Der ZDF-Beitrag ist übrigens zzt. noch in der Mediathek zu finden: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2361098/Das-digitale-Klassenzimmer#/beitrag/video/2361098/Das-digitale-Klassenzimmer