¯\_(ツ)_/¯ Digitale Geräte in Schülerhand, aber wie?



Vorweg:
Dieser Artikel ist in leicht veränderter Form im Jahresbericht meiner Schule erschienen. Ich habe ihn verfasst, um auf diesem Wege Eltern, Schüler und das Kollegium auf das vorzubereiten, was da kommen wird.


Wir erleben seit Jahrzehnten einen immer schneller fortschreitenden gesellschaftlichen Wandel durch elektronische Medien. Hierbei spielt die veränderte Nutzung des Internets vom redaktionell kuratierten Abfragemedium über das „Mitmach-Web“ 2.0 bis zu unserem stets verfügbaren, mobilen Netz eine entscheidende Rolle. Wissen ist immer und überall abrufbar, Lernen findet ad hoc und selbstbestimmt statt. Eine Schule, die sich dieser Entwicklung bewahrpädagogisch verschließt, entfernt sich immer weiter von der Lebenswirklichkeit ihrer Schüler. Eine gesunde Mischung der Methoden und Arbeitsformen im Unterricht bedeutet in dieser Situation, dass es Schülern mehr als bisher ermöglicht werden sollte, mit Computern zu arbeiten und zu lernen.

Relevanz
Die Frage, warum Schüler im Unterricht mit digitalen Geräten arbeiten sollten, lässt sich nicht nur mit den veränderten Lebens- und Lernwegen beantworten, sondern vor allem mit der veränderten gesellschaftlichen Relevanz. Zum einen wird politische Teilhabe zunehmend in Sozialen Netzwerken, Foren und Blogs, mit Posts, Kommentaren und e-Petitionen wahrgenommen. Zum anderen erfordern die beruflichen Arbeitsbedingungen heutzutage ein Mindestmaß an Medienkompetenz, die ein zügiges Anpassen an sich verändernde Programme und Endgeräte ebenso einschließt, wie die Fähigkeit zur kollaborativen und vernetzten Arbeit. Des Weiteren wird das Hochschulstudium seit einigen Jahren um E-Learning-Anteile und Moocs (Massive Open Online Courses) ergänzt. Die hierbei geforderte Medienkompetenz ist ein Teil der Studierfähigkeit, die unsere Schüler erlangen sollen.

Mehrwert
Darüber hinaus lässt sich die Frage, warum Schüler im Unterricht mit digitalen Geräten arbeiten sollten mit dem Mehrwert digitaler Medien und Methoden beantworten. Interaktive Arbeitsmittel bieten anschaulichen Ersatz, sollten originale Lehrgegenstände nicht verfügbar sein. Als Beispiel sein hier Vulkanismus oder Genetik genannt. Die Unterrichtgegenstände dieser Themen lassen sich schwerlich live und direkt beobachten und beeinflussen. Mit entsprechender Software jedoch sehr wohl.
Ganz allgemein ist es mit Informationstechnik möglich, die seit der Industrialisierung zunächst wichtige uniforme Wissensvermittlung mit dem gleichen Lehrwerk und im gleichen Lerntempo für völlig verschiedene Individuen mit unterschiedlichen Begabungen und Vorerfahrungen aufzubrechen und differenziertere Lernangebote zu schaffen. Das ist zwar auch mit analogen Medien und Methoden möglich, der Aufwand dies zu realisieren ist aber um ein Vielfaches höher. OER (Open Educational Ressources) bieten hier die Möglichkeit legaler, produktiver und kreativer Erstellung, Veränderung und Verbreitung von Arbeitsmitteln und Schülerergebnissen, auch auf digitalem Wege. Computer werden von den Lernenden als Arbeitsgeräte wahrgenommen, als Werkzeuge und Instrumente kreativer Schaffensprozesse. Das ist eine gänzlich andere Sicht- und Handlungsweise, als wenn die Geräte nur zum Spielen und zu beiläufiger Kommunikation Verwendung finden.
Im Übrigen kann ein internetgestützter Unterricht den Schülern ein selbstbestimmtes, selbstorganisiertes und selbstverantwortetes Lernen erleichtern. Da Wissensspeicher externalisiert zur Verfügung stehen ist ein individuelles Arbeiten besser möglich, als bei lehrerzentriertem Unterricht ohne  entsprechende Technik.

Und nun? Wie bekommt man die Schüler an die Geräte?
Viele Schulen haben sich bereits vor Jahrzehnten diese Frage gestellt und sind zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Computerräume wurden (auch bei uns) eingerichtet, Laptopwagen angeschafft und Tablet-Klassen ausgestattet. Aus der Wirtschaft übernahmen manche das BYOD-Prinzip (Bring Your Own Device), bei dem jeder Lernende ein Gerät seiner Wahl mitbringt und dieses in den Unterricht eingebunden wird.
Manche dieser Maßnahmen und Konzepte haben erstaunliche und kreative Ergebnisse hervorgebracht, andere sind grandios gescheitert. Eine Schule, die sich auf den Weg macht, muss hier also nicht das Rad neu erfinden sondern kann von den Erfolgen und Misserfolgen anderer lernen. Dabei gilt: jede dieser Lösungen hat Vor- und Nachteile.

Konzepte, Konzepte, Konzepte
Ehe Geld für den Ausbau der technischen Infrastruktur einer Schule in die Hand genommen wird, empfiehlt es sich, einige Eckpunkte festzulegen. Häufig wird zunächst intensiv über eben diese Technik diskutiert. Bei der Vielfalt der Geräte fällt die Entscheidung schwer. Sollten sie eine Tastatur haben? Wie schwer dürfen sie sein,  wie groß der Bildschirm und welches Betriebssystem ist das richtige? Dabei sind die Fragen, ob Apple oder Linux, ob Tablet oder Netbook, ob 8-, 10- oder 15-Zoll-Bildschirm die richtige Wahl ist, gar nicht die drängendsten.

Im Wesentlichen lässt sich eine Entscheidungsgrundlage auf wenige Fragen reduzieren:
1.    Was soll man mit den Geräten machen können?
2.    Welcher Administrations- und Wartungsaufwand käme auf die Schule zu?
3.    Lassen sich diese Computer sozialverträglich finanzieren?

Gerätewahl – Grundlagen der Entscheidungsfindung

1. Was soll man mit den Geräten machen können?
Ein Schüler-Computer sollte tragbar und WLAN-fähig sein. Das trifft auf fast alle mobilen Endgeräte zu. Man hat so die Möglichkeit, sich sämtliche Internetquellen „in den Unterricht“ zu holen, daran mitzugestalten, Kommunikation auf diesem Wege zu ermöglichen und zahlreiche Webdienste zu nutzen. Mit einem „einfachen“ BYOD-Konzept lässt sich so der Unterricht bereits erheblich aufwerten. Ob auch gemeinsam Apps und Programme genutzt werden können, hängt davon ab, ob eine einheitliche Ausstattung gewünscht ist, was die Unterrichtsplanung erleichtern würde, oder ob vielfältige Geräte zugelassen werden, was die allgemeine, betreibssystemunabhängige Medienkompetenz steigern würde. Sollen z. B. das elektronische Wörterbuch und der grafikfähige Taschenrechner ersetzt werden ist es (zumindest in den höheren Jahrgangsstufen) von Vorteil, wenn die Programme einheitlich sind, was (fast) nur realisiert werden kann, wenn auf allen Rechnern das gleiche Betriebssystem installiert ist. Hier sind BYOD-Konzepten Grenzen gesetzt. Ferner könnten bei einer gelenkten, einheitlichen Ausstattung die Tablets oder Netbooks gegebenenfalls auch für Klassenarbeiten und Abiturklausuren genutzt werden. Abgesehen von den rechtlichen Bedingungen ist dies ein zwar technisch lösbares aber nicht triviales Problem, das von allen beteiligten Lehrenden mitgetragen werden müsste.

2.    Welcher Administrations- und Wartungsaufwand käme auf die Schule zu?
Schulen besitzen eine Vielzahl von Computern. Häufig waren zu Beginn der Technisierung einzelne Kollegen, meist Informatiker, damit beauftragt, die eigene Infrastruktur am Laufen zu halten. Je mehr Rechner kamen, desto höher wurde die Belastung des Kollegen, bis irgendwann ein unzumutbar hoher Arbeitsaufwand entstand. Im Wesentlichen gibt es drei Möglichkeiten, diesem Problem zu begegnen. Entweder wird ein Vertrag mit einem kommerziellen Dienstleister geschlossen, der zumindest für die Wartung und Reparatur der Schulrechner verantwortlich ist oder ein Techniker wird angestellt. Die dritte Option besteht darin, keine weiteren schuleigenen Gerate anzuschaffen. Wenn stattdessen schülereigene Geräte in den Unterricht eingebunden werden, ist jede Familie weitgehend selbst verantwortlich für die Reparatur der Geräte. Aber auch hier sind pauschale, schulweite Verträge mit IT-Dienstleistern möglich, häufig unterstützt durch Schüler-AGs, die bei einfachen Defekten und Einstellungsproblemen helfen können.
Anfallende Administrationsaufgaben verbleiben häufig, zumindest teilweise, in der Schule, sollten jedoch so weit wie möglich automatisiert und vereinfacht werden. Selbst schülereigene Geräte werden zuweilen von der Schule administriert, um einen einheitlichen Arbeitsbereich zu gewährleisten.

3.    Finanzierung
Sollen Schüler öfter als bisher mit Computern arbeiten und lernen können, wird Geld nötig sein, um diese Geräte anzuschaffen und betriebsfähig zu halten. Daran führt kein Weg vorbei. Zur Finanzierung kommen im Wesentlichen drei Gruppen in Frage: die Schule selbst, die Eltern und Unternehmen bzw. Organisationen. Häufig findet man eine Mischfinanzierung sowie verschiedene Instrumente und Regelungen, die die Anschaffung sozialverträglich finanzierbar machen. Langjährige Ansparmodelle, ein schulisches Leihgerätekonzept, solidarische Sammelbestellungen oder auch besondere Härtefallregelungen haben an anderen Schulen bereits eine Ausstattung der Schülerschaft ermöglicht.

Und das ist erst der Anfang
Natürlich ist es nicht damit getan, die Technik zu besorgen. Sie will auch gewinnbringend eingesetzt werden. Das übergeordnete (Digitale-)Medien-Konzept muss Fortbildungen, Evaluationen und Verantwortlichkeiten formulieren, die die neue technische Infrastruktur in Schülerhand mit einbezieht. Sollten einzelne Fachschaften sich auf verpflichtende, konkrete, digitale Lerninhalte oder -methoden verständigen können, wäre auch das ein wichtiger Punkt in solch einem Konzept.


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Die Texte und Abbildungen von André Hermes sind lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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